Was ist eigentlich der komplementäre Impuls von Lampenfieber? Weil, so bedauernswert es für einzelne ist, Angst vor einem Auftritt zu haben, so sehr verdient in unserem Zusammenhang eine andere Art von Furcht wesentlich mehr Aufmerksamkeit, nicht zuletzt, weil sie ungleich mehr Leid verursacht: die vorsorgliche Selbstbeschränkung bei der Entwicklung und Gestaltung von Veranstaltungen. Man könnte das als Lampenfieber 2.0 bezeichnen. Oder, zutreffender, als strukturelles Problem der Eventbranche begreifen. Dann käme man der Besserung schon einen Schritt näher.
Der Kunde, das all zu bekannte Wesen
In der kollektiven Psyche vieler Event- und Marketing-Agenturen gibt es eine Art Branchen-Folklore. Diese Folklore
ist reich an Überlieferungen von Kundengeschichten, bei denen es meist um super spannende Pitches geht, die der Kunde dann zu vollkommen langweiligen middle-of-the-road-Events runtergebrieft hat.
Jeder Eventmanager erzählt gerne von aufregenden Showkonzepten, die dem Kunden dann doch zu gewagt waren. Er kennt Marketingleiter, welche mit leuchtenden Augen die zukunftsweisende
Agenturpräsentation verfolgt haben, nur um dann mit den Worten "habe ich leider beim CEO nicht durchgebracht" eins zu eins den Event "wie letztes Jahr" zu bestellen. Mit den besten Grüßen
vom Geschäftsführer, die kleinen Schnitzerl waren hervorragend, die wollen wir auf jeden Fall wieder. Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass viele Agenturen auf Nummer sicher gehen und,
auch um Ressourcen zu sparen, einfach das anbieten, was bereits funktioniert hat. Oder zumindest das, von dem sie annehmen, das der Kunde es halt will. Das spart Zeit und Nerven, vermeidet
unnötige Irritationen und ist doch nur die halbe Wahrheit. Wer nämlich auf seinen Kunden mit einem Gestus á la "sie wissen es halt nicht besser" hinab sieht - für sich genommen bereits
hinterfragenswert genug - der hat vor allem eines nicht geschafft: als Fachmann seinem Kunden dabei zu helfen es besser zu wissen. Auch wenn der ausgerechnet Bananen will, wo doch, um im Bild des
Schlagertextes zu bleiben, Erbsen, Bohnen, ja sogar Melonen, passender wären.
Die meisten Kunden von Event-Agenturen engagieren diese, weil sie selber eben keine Event-Profis sind - sonst könnten sie es ja auch selber machen. Aber auch wenn sie keine Event-Profis sind, so haben sie alle eine Vorstellung von den Events die sie wollen, sie haben Erfahrungen von bisherigen Events und vor allem haben sie die Erinnerungen an Events, bei denen sie selbst zu Gast waren. Das ist auch der Hintergrund vor dem viele Kundenwünsche und Briefings formulieren: sie haben bei einem Event etwas erlebt, dass ihnen gefallen hat und das wollen sie jetzt auch haben. Dagegen müssen viele Event-Agenturen ankämpfen, wenn sie einem Kunden nicht nur zu dem Event verhelfen möchten, den er sich wünscht, sondern vielmehr zu der Art Erlebnis, das er eigentlich braucht. Mit der Agentur-Folklore im Hinterkopf geht das aber nicht besonders gut, sondern dann muss man bereit sein, Ressourcen in gute Beratung zu investieren. Und gute Beratung beginnt immer damit, sein Gegenüber ernst zu nehmen.
Angesichts von Hindernissen mag die kürzeste Linie zwischen zwei Punkten die krumme sein.
Einen Kunden gut zu beraten und einem Publikum ein wirkungsvolles Erlebnis zu ermöglichen hat vor allem eines gemeinsam: beide müssen bereit sein etwas in den Prozess zu investieren: Zeit und Aufmerksamkeit genauso wie Phantasie und die Bereitschaft etwas noch Unbekanntes zuzulassen. Es investiert aber nur der, der sich auch sicher ist, dass sich sein Investment auszahlt. Wer seine Kunden genauso wie sein Publikum aber nur das gibt, was sie ohnedies schon kennen, mag glauben ihnen damit Sicherheit zu vermitteln. In Wahrheit gibt man aber weder Kunden noch Publikum einen Grund neue Perspektiven als lohnenswert anzunehmen. Damit bringt sich jeder Event-Profi um sein eigentliches Kapital. Weil Events, die sich ihr Publikum mit dem üppigen Büffet, der für definitiv jeden verständlichen Darbietung und idealerweise noch dem kürzesten Weg zum Klo gewogen halten wollen, bekommen genau das: Zuschauerinnen und Zuschauer die nichts in den Event investieren werden, weil ohnedies alles von selbst passiert, ein Publikum, das nichts erlebt hat, was in den Köpfen irgendetwas bewegen würde und Kunden, die viel Geld für kaum einen Effekt aufgewendet haben.
Herausfordernde Erlebnisse können auf den ersten Blick abschrecken, genauso wie neue Zugänge Überwindung kosten können und die Bereitschaft verlangen, Bekanntes und Gewohntes neu zu erleben. Das gilt für alle Beteiligte. So verführerisch der Wunsch ist, sprichwörtlich genau das haben zu wollen "was sie hatte", so lähmend kann die Angst sein, sein Publikum genauso wie seinen Kunden zu überfordern. Aber das ist ein Trugschluss: überfordert ist nur, wer nicht gut begleitet wird und neues annehmen wird der, dem man es auch zutraut. Wer also seinen Kunden und seinem Publikum das nicht zutraut, der traut es sich in Wahrheit selbst nicht zu. Dabei gibt es für derlei Lampenfieber eigentlich keinen Grund - jeder Kunde und jedes Publikum wird etwas spannendes dankend annehmen, wenn man es auf dem Weg dorthin mit Überzeugung begleitet. Außerdem gibt es gegen Lampenfieber so manch wirkungsvolles Hausmittel. Bananen beispielsweise.
QUELLEN:
Das Spannende an dem Satz von Estelle Reiner (1914-2008), Mutter des Regisseurs von WHEN HARRY MET SALLY, ist vor allem, dass er belegt, dass man auch mit etwas vollkommen offensichtlich nur Gespielten wahre Wünsche und Empfindungen wecken kann. Das ist nicht nur ein schönes Sinnbild für die Kraft der Imagination, sondern legt auch nahe, dass ein Wunsch die Substanz seiner Inspiration mitunter sehenden Auges verfehlen kann.
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