DIE MAUER MUSS WEG - Warum sich Eventmarketing wirklich Gedanken über die vierte Wand machen sollte

 

Mittendrin statt nur dabei – mit diesem Slogan hat in den 1990ern ein deutscher Sportsender geworben, und was der TV-Sender damals versprochen hat, nehmen Events umso mehr für sich in Anspruch. Aber genauso wie das analoge Fernsehen vor gut 20 Jahren bestenfalls symbolisch in ein Mittendrin versetzen konnte, sollte man heutzutage auch Events hier nicht beim Wort nehmen. Wer bei einem Event vor Ort dabei ist, mag physisch mittendrin sein - aber wo ist das Publikum geistig mehr als nur dabei?

 

Niemand hat die Absicht eine Mauer zu errichten

 

Interaktionsmanagement, immersive Events, Engagement, Involvement - es mangelt nicht an guten Absichten. Eventmarketing legt heutzutage zu Recht großen Wert darauf, nicht mehr als reine Organisationseinheit für Festivitäten aller Art gesehen zu werden. Vielmehr versteht sich das Event-Segment als Teil der Omnichannel-Kommunikationskette, versucht Digitalisierung und neuen Technologien Raum zu geben und hat den Gast als zu aktivierendes Ziel ausgemacht. Man kann diese Entwicklungen nur begrüßen und doch legen sie bei genauerer Betrachtung einen Umstand offen, der all diese Bemühungen zu konterkarieren droht. Unabhängig von gewähltem Setting oder zu Hilfe genommener Technologie bleibt die Ausgangslage dabei nämlich letztlich so unverändert wie klassisch: Man lädt sein Publikum ein und spielt ihm etwas vor, bietet ihm etwas an oder fordert es auf etwas zu glauben – sprich: der Event agiert, das Publikum nimmt auf. Und die aktuelle Begeisterung für interaktive Technologien oder digitale Gadgets führt dabei oftmals dazu, dass den Tools mehr Aufmerksamkeit zukommt als der Bedeutung der Interaktion für die erlebte Geschichte.

 

In der Theatertheorie gibt es den Begriff der „vierten Wand“, der nichts anderes meint, als dass die Schauspielerinnen und Schauspieler beim Spielen so tun sollen, als ob kein Publikum da wäre, um so die Illusion der dargestellten Geschichte nicht zu untergraben. Die vierte Wand trennt die Zuschauerinnen und Zuschauer vom Bühnengeschehen und vor allem die Realität des Zuschauerraums von der gespielten Geschichte. Events sind nicht bürgerliches Theater mit Guckkastenbühne und die Essenz von Veranstaltungen ist eben das realen Erleben des einbezogenen Publikums. Nichts desto weniger sind viele der aktuellen Interaktionsansätze im zeitgenössischen Eventmarketing bestenfalls Fenster in einer immer noch stabilen Mauer, weil selten über formale und technologische Aspekte hinaus gedacht wird. Das ist vor allem deshalb schade, weil das Prinzip der vierten Wand nicht per se eine Geschichte von seinem Publikum trennt. Vielmehr kann sie die perfekte Schnittstelle bilden, wenn man sie an der richtigen Stelle aufbaut. Und wenn man sich traut, seinem Publikum zu vertrauen.

 

Interagierst du schon oder teilst du noch?

 

Die vierte Wand mag in formaler Hinsicht jede erzählte Welt zum Publikum hin abgrenzen - mental aber ermöglicht sie Zuschauerinnen und Zuschauer defacto das Gegenteil: sie können Teil einer Welt werden zu der sie körperlich eigentlich keinen Zutritt haben. Die vierte Wand schützt nicht die erzählte Geschichte vor seinem Publikum - die vierte Wand verbindet das Publikum im Kopf mit ihr und deshalb darf sie gedanklich nicht an der Bühnenkante verlaufen, sondern sie muss dort stehen wo die erlebende Welt des Publikums endet. Das bedeutet nichts anderes, als dass man seinem Publikum eine aktive Rolle in jeder Story geben muss, die über liken, sharen, voten und kommentieren hinausgeht. Vor allem aber heißt dass, das jedes interaktives Handlungssetting den Impulsen des Publikums mental Raum geben muss - ein Erlebnis ist nämlich nur dann interaktiv, wenn alle Teilnehmenden real empfunden die Möglichkeit haben den Fortgang der Geschichte zu beeinflussen und nicht nur zum Voting über vorgegebene Optionen aufgefordert werden.

 

Ein Publikum, dass in einer fesselnden Erzählung seine Handlungsmacht als real empfindet wird wesentlich intensiver in das Erlebnis investieren - und auch wesentlich verständiger mit dem umgehen können, was ihm inhaltlich mitgegeben werden soll. Die vierte Wand muss dazu zur vierten Dimension werden - zur Ebene der Zeit. Und Zeit bedeutet hier vor allem, dass etwas nicht einfach nur andauert, sondern passiert, Zeit als Möglichkeit der Veränderung, des Handelns, dem Ablauf der Dinge. Dabei helfen Apps genauso gut wie theatertheoretische Begriffe, Online-Tools nicht weniger wie dramaturgische Kreativität, VR-Brillen im Dienste einer spannenden Erzählung ebenso wie digitales Denken als narrative Logik für ein Erlebnis in Echtzeit - gemeinsam ist ihnen allen, dass es dabei um die Geschichte geht, deren Erleben sie ermöglichen, und nicht um ihren Einsatz als Selbstzweck. Sie machen dann Sinn, wenn sie der Verbindung zwischen Zuschauerinnen und Zuschauern und ihrer Rolle in der erlebten Geschichte dienen. Die Mauer muss dann nicht weg, die Mauer muss Weg werden.


QUELLEN:

Nicht nur Doc Brown und Marty McFly finden in der Vergangenheit Wertvolles um in der Zukunft bestehen zu können: im Theater der Griechischen Antike etwa fungierte der Chor im Austausch mit den Protagonisten mitunter als Verkörperung des Publikums auf der Bühne und öffnete durch diese Mittelstellung die Welt der Geschichte zum Hier und Jetzt des Publikums. Beim Blick zurück fällt auf, dass die dem Publikum in der aristotelischen Poetik (entstanden im 4. Jahrhundert vor Chr.) zugedachten Rollen im Kern zukunftsweisender und moderner erscheinen, als so manche zeitgenössischen Interaktionskonzepte. 

 


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